Projektbereich D: Integration und Anbindung, Teilprojekt D5
Zwischen Machtverlust und Marktintegration: Mittelasiatische Nomaden in der Kolonialzeit
Programm
Das Projekt D5 setzt die in der ersten Antragsphase im Teilprojekt B2 begonnenen Untersuchungen zum Verhältnis zwischen Staat und tribal organisierten Gruppen, zumal zur politisch-militärischen Rolle usbekischer Gruppen in Mittelasien fort. Es betrachtet jedoch mit der Kolonialzeit eine historische Konstellation, in der sich das Kräfteverhältnis zwischen dem Staat und den usbekischen Stämmen – im Vergleich zur Situation im 16. und 18. Jh. – deutlich zugunsten der Zentralgewalt verschoben hat.
Im räumlichen Fokus stehen das russische Protektorat Buchara sowie die ehedem bucharische Provinz Samarkand, die 1868 in das russische Generalgouvernement Turkestan eingegliedert wurde. Der zeitliche Rahmen umfaßt fünf Jahrzehnte mittelasiatischer Kolonialgeschichte: von den militärischen Auseinandersetzungen, die zur Kapitulation Bucharas führten, bis zum Ersten Weltkrieg.
Ausgehend von der Hypothese, dass die Nachkommen einstiger nomadischer Eroberer, die bis in das frühe 19. Jh. hinein den privilegierten Kriegerstand des Staates Buchara stellten, spätestens in der Kolonialzeit ihre militärische Kompetenz und sozialen Privilegien verloren, fragt das Projekt nach der Auseinandersetzung dieser Gruppen mit dem gesellschaftlichen Wandel. Hierbei interessieren nicht zuletzt die ökonomischen Strategien, mit denen besagte Gruppen auf den Wegfall von Einkünften aus Militärdiensten reagierten. In diesem Zusammenhang rückt neben politisch-militärischen Aspekten die Einbindung mittelasiatischer Nomadengruppen in das sich herausbildende koloniale Handelsnetz bzw. in das durch europäische Intervention erschütterte regionale Wirtschaftsgefüge ins Zentrum der geplanten Untersuchung.
Der übergreifenden Fragestellung wird sich das Projekt über drei regional differenzierte Untersuchungsfelder annähern, in denen jeweils unterschiedliche Aspekte des Wandels von Macht- und Marktbeziehungen im kolonialen Kontext beleuchtet werden:
- Weltmarktorientierte Viehzucht: Der Karakul-Boom in Zentral-Buchara;
- Pferdezucht und Regenfeldbau: Die "pazifizierten" Laqai-Usbeken in Ost-Buchara;
- Baumwollplantagen in Winterweidegebieten: Siedler und Nomaden im Verwaltungsbezirk Samarkand.
Die Untersuchung stützt sich auf (publizierte) russische Kolonialberichte sowie publizierte und handschriftliche Quellen in mittelasiatischen Sprachen. Neues Quellenmaterial wird insbesondere im Bereich der bucharischen Archivalien zu erschließen sein.
Publikationen
Prof. Dr. Jürgen Paul
The State and the Military – a Nomadic Perspective. In: Mitteilungen des SFB "Differenz und Integration" 5 (2003), 25–68.
Nomaden in persischen Quellen. In: Mitteilungen des SFB "Differenz und Integration" 1 (2002), 11–40.
(Hg.): Katalog sufischer Handschriften aus der Bibliothek des Instituts für Orientalistik der Akademie der Wissenschaften, Republik Usbekistan. Stuttgart 2002 (Verzeichnis der Orientalischen Handschriften in Deutschland, Supplementband 37).
The Histories of Isfahan: Mafarrukhi's Kitâb mahâsin Isfahân. In: Iranian Studies 33 (2000), 117–132.
The Histories of Herat. In: Iranian Studies 33 (2000), 93–115.
Doctrine and Organization. The Khwâjagân-Naqshbandîya in the First Generation after Bahâ'uddîn. Berlin/Halle 1998 (ANOR 1). Russische Übersetzung als: "Doktrina i organizacija Chwadzhagan-Naqšbandija v pervom pokolenii posle Bacha' ad-dina" (Übersetzung: E. Berezina). In: A. Chismatulin (Hg.): Sufizm v central'noj Azii. Zarubezhnye issledovanija. Sankt Peterburg 2001, 114–199.
Herrscher, Gemeinwesen, Vermittler: Ostiran und Transoxanien in vormongolischer Zeit. Stuttgart 1996 (Beiruter Texte und Studien 59).
The State and the Military: The Samanid Case. Bloomington (Ind.), 1994 (Papers on Inner Asia 26).
The Histories of Samarqand. In: Studia Iranica 22 (1993), 62–92.
Die politische und soziale Bedeutung der Naqšbandiyya in Mittelasien im 15. Jahrhundert. Berlin 1991.
Hagiographische Texte als historische Quelle. In: Saeculum 41 (1990), 17–43.
Dr. Wolfgang Holzwarth
Relations between Uzbek Central Asia, the Great Steppe and Iran, 1700–1750. In: S. Leder/B. Streck (Hgg.): Shifts and Drifts in Nomad-Sedentary Relations. Wiesbaden. Im Druck.
Sources of Gilgit, Hunza and Nager History (1500–1800) and Notes on the Oral Roots of Local Historiography. In: H. Kreutzmann (Hg.): Karakorum in Transition. Karachi/Oxford. Im Druck.
The Uzbek State as Reflected in Eighteenth Century Bukharan Sources. In: Mitteilungen des SFB "Differenz und Integration" 4/2, OWH 15 (2004), 93–129.
Nomaden und Seßhafte in turkî-Quellen (narrative Quellen aus dem frühen 16. Jahrhundert). In: Mitteilungen des SFB "Differenz und Integration" 2, OWH 4 (2002), 147–165.
Change in Pre-Colonial Times. An Evaluation of Sources on the Karakorum and Eastern Hindukush Regions (from 1500 to 1800). In: I. Stellrecht (Hg.): Karakorum-Hindukush–Himalaya: Dynamics of Change. Köln 1998, 297–337.
Die Ismailiten in Nordpakistan. Zur Entwicklung einer religiösen Minderheit im Kontext neuer Außenbeziehungen. Berlin 1994 (Ethnizität und Gesellschaft. Occasional Papers 21).