Projektleiter

Prof. Dr. Andreas Mehl
Prof. Dr. Markus Mode

Bearbeiterin

Dr. Sören Stark

 

Weitere Phase:

2004–2008 (D6)

Projektbereich C: Kontrolle und Anbindung, Teilprojekt C5

Nomaden und Sesshafte im vormuslimischen Transoxanien
(ca. 5.-8./9. Jh.)

Programm

Historischer Rahmen

Die verschiedenen Regionen Transoxaniens (Mawara'n-nahr) dürfen als eine der wichtigsten altweltlichen Kontaktzonen zwischen den verschiedenen Formen sesshafter und nomadischer Lebensweise gelten. Ihr dynamisches Mit-, Neben- und Gegeneinander hat die Geschichte des Raumes sowohl politisch wie auch sozial- und kulturell tief und dauerhaft geprägt.

Für den Zeitraum des 6. bis 8. Jahrhunderts, d.h. das unmittelbar vormuslimische Frühmittelalter, ergibt sich ein enger politischer Zusammenhang beider Lebens- und Kulturweisen: Mit dem Sieg über die leider nur sehr undeutlich in unseren Quellen reflektierte Hephthaliten-Föderation gelingt es dem Qaghanat der Türk unter dem Herrscherklan der Ashina, entstanden um 550 im Altai, gegen 560 weite Teile auch der mittelasiatischen Steppen und der soghdischen Stadtfürstentümer unter ihre politische Oberherrschaft zu bringen. Die bald eintretende politische Trennung der westlichen Gruppen (die sog. 'Zehn Stämme' oder 'On Oq') von der Kern-Föderation in den mongolischen Steppen führt zur einer nomadischen Staatsbildung mit Zentrum im nordwestlichen Tianshan und seinem unmittelbaren Vorland (russ. Semirech'e).

In unterschiedlicher Weise und Intensität wirken Vassalitätsverhältnisse und direkte Herrschaft auf den Bereich der Kleinstaaten der mittelasiatischen Bewässerungsoasen: die verschiedenen Kleinfürstentümer Soghdiens (allen voran Samarqand, ferner Bukhara, Paykent, Penjikent, Kesh, Nakhshab u.a.), Khwarezm, Ustrushana, Chach, Ferghana, die Otrar-Oase und die soghdischen Kolonien am Chu und am Talas. Mit der Eroberung Tokharistans durch die Türk um 620 und der dauerhaften Einwanderung bedeutender türksprachiger Gruppen treten hierzu auch Gebiete südlich der sog. 'Eisentore' und des Jayhun/Oxus. Die direkte und indirekte politische Einflußnahme des Qaghants der On Oq (seit etwa 700 nicht mehr unter der politischen Führung des Ashina-Klans, sondern unter verschiedenen Klans des Stammes der Türgäsh) auf diese Gebiete überdauert die kurze Periode chinesischer und tibetischer Dominanz nördlich des Tianshan und wird erst mit dem sukzessiven Vorrücken der Muslims nach Transoxanien beendet. Die jahrzehntelange direkte Konfrontation muslimischer Heere (besonders unter Qutayba b. Muslim, Muslim b. Sacid, Ashras b. cAbdallah al-Sulami, Junayd b. cAbd al-Rahman al-Murri, Asad b. cAbdallah und Nasr b. Sayyar) mit türkischen Truppen und Truppenteilen in Transoxanien und Tokharistan und ihre Überlieferung erhellt schlaglichtartig die vielfältigen Beziehungen zwischen den Qaghanen am Talas und Chu, den soghdischen Fürsten und Dihqanen und kleineren nomadischen Führern und Potentaten. Die endgültige Etablierung der muslimischen Herrschaft in Tokharistan, Khwarizm, Sughd, Chach und Ferghana - nach der Schlacht von Kharistan (A.D. 737), dem Auseinanderfallen der Türgäsh-Föderation, der Unterwerfung der aufständischen soghdischen Dihqane und dem Sieg über die chinesische Expeditionsarmee am Talas (A.D. 751) - stellt eine in dieser Hinsicht wichtige Zäsur dar: Anstelle der relativen sozio-kulturellen Einheit von Tokharistan bis zum Issyk-Köl etabliert sich durch die Eingliederung des Mawara'n-nahr bis nach Chach und Ferghana in den Verband des Abbasidischen Kalifats allmählich die Kultur und Gesellschaft des islamischen Mittelalters dieser Region, während in den Tälern des Chu und des Talas bzw. ihrer Zuflüsse ältere, frühmittelalterlich-vormuslimische Traditionen bis in qarakhanidische Zeit erhalten bleiben. Die seit der Mitte des 8. Jh. das Chu-Talas-Region dominierende Föderation der Qarluq übt über die übrigen Gebiete Transoxaniens - besonders über Sughd selbst - keinen dauerhaften politischen Einfluß mehr aus. Nicht übersehen werden sollte außerdem, daß sich durch die Aufgabe des Engagements Tang-Chinas in Mittelasien (im Zusammenhang mit der Revolte des An Lushan und dem politischen Niedergang der Tang) und das vorläufige Ende der großen Eroberungszüge der Muslims nach und in Transoxanien die Quellenlage zur Geschichte der Nomaden Mittelasien und ihrer Beziehungen zur sesshaften Sphäre deutlich verschlechtert.

Materialien und Methoden

Die Untersuchung basiert sowohl auf relevantem archäologisch-kunsthistorischem Material sowie entsprechenden Schriftquellen.

Der archäologisch-kunsthistorische Komplex gliedert sich nach Herkunft und Art in folgende Materialgruppen:

  • 1. Siedlungsarchäologische Befunde für Entwicklung von Siedlungsstrukturen einzelnder Regionen bzw. einzelner Fundorte (besonders Penjikent, Semirech'e)
  • 2. Nomadische Nekropolen (besonders im westlichen Tianshan, Altai und Tuva)
  • 3. Bildliche Darstellung (besonders Wandmalereien aus Alt-Samarqand, Penjikent, Kalai Kakhkakha I und II, Varakhsha)
  • 4. Numismatisches Material (soghdische Silber- und Bronze-Emissionen, sogenannte 'türkisch-soghdische Prägungen')


Das Material relevanter Schriftquellen ist äußerst divers und wenig homogen. Es läßt sich historisch-geographisch und sachlich etwa in folgende Gruppen gliedern:

  • a) chinesische Dynastiegeschichten, Enzyklopädien, Pilgerberichte und andere relevante historiographische Werke (besonders Beishi, Suishu, Jiu Tangshu, Xin Tangshu, Zizhi Tongjian, Tongdian, Cefu Yuangui, Da Tang Xinyue Ji),
  • b) arabische und persische geographische Werke und Reiseberichte des 9. bis 11. Jahrhunderts (u.a. Tamin ibn Bahr, Khwarizmi, Marwazi, Ibn Khurdadhbih, Yacqubi (BGA 7), Ibn Rusta, Ibn al-Faqih al-Hamadhani, Istakhri, Ibn Hauqal, das Hudud al-cAlam, Maqdisi, Gardizi, Marwazi, Yaqut),
  • c) arabische und persische historiographische Werke (besonders Yacqubi (Ta'rikh), Tabari, Baladhuri, Mascudi ("Muruj adh-Dhahab wa Macadin al- Jawhar" und "Kitab at-Tanbih wa'l-Ishraf"), Narshakhi, Ibn al-Athir),
  • d) Wörterbücher und bibliographische Werke (Kashghari, Nadim)
  • e) spätantike-byzantinische historiographische Werke und Fragmente (besonders Prokop, Agathias, Menander Protector, Theophylakt Simokattes),
  • f) soghdische Texte aus dem Archiv vom Berg Mug (vor 722)
  • g) runentürkische Inschriften (besonders aus der Mongolei, kürzere Inschriften aus Kyrghyzstan)
  • h) armenische/albanische Überlieferung (weniger bedeutsam, hier besonders Sebeos, Movses Xorenaci, Movses Dasxurancci)


Zielstellung und Untersuchungsgegenstand

Die Studie untersucht auf oben skizierter Material- und Quellenbasis den politischen und sozio-kulturellen Zusammenhang zwischen sesshaften und nomadischen Lebensformen im vormuslimischen Mittelasien des Frühmittelalters. Dabei ergeben sich die folgenden Schwerpunkte:

  • i) der Zusammenhang zwischen nomadischer Adaption an den sesshaften Lebensbereich und der wirtschaftlichen/politischen Interaktion zwischen den Nomaden und den soghdischen Städten und Handelskolonien.
  • ii) der Zusammenhang zwischen steppen-nomadischer Staatsbildung und dem transkontinentalen Handel mit Prestigegütern;
  • iii) die politische und soziale Rolle von Soghdern am Hof der Türk Qaghane;
  • iv) die Rolle von türkischen Söldnern, Klanchefs etc. im sesshaften Milieu: Türkische Dynasten in den Städten und Fürstentümern Soghdiens und in den benachbarten Regionen (vor dem Hintergrund des Phänomens der mittelasiatischen Kleinstaaterei im Frühmittelalter);
  • v) Sozio-kulturelle Wechselwirkung zwischen nomadischem und sesshaftem Milieu: Kleidung, Waffen, Begräbnisstitten, religiöse Vorstellungen.


Publikationen

Prof. Dr. Andreas Mehl

Der Hellenismus – Synthese zwischen Orient und Okzident? In: E. Erdmann/U. Uffelmann (Hg.): Das Altertum. Vom Alten Orient zur Spätantike. Idstein 2001, 103-127.

Zwischen West und Ost / Jenseits von West und Ost: Das Reich der Seleukiden. In: K. Brodersen (Hg.): Zwischen West und Ost. Studien zur Geschichte des Seleukidenreichs. Hamburg 1999, 9–43.

Stadt – Staat – Begegnung von Kulturen. Grundsätzliche Gedanken, ausgehend vom hellenistischen Zypern. In: Alte Geschichte: Wege – Einsichten – Horizonte. Festschrift für Eckart Olshausen zum 60. Geburtstag. Hildesheim 1998, 143–167.

Griechen und Phoiniker im hellenistischen Zypern – ein Nationalitätenproblem? In: B. Funck (Hg.): Hellenismus. Beiträge zur Erforschung von Akkulturation und politischer Ordnung in den Staaten des hellenistischen Zeitalters. Tübingen 1996 (1997), 377–414.

Erziehung zum Hellenen – Erziehung zum Weltbürger. Bemerkungen zum Gymnasion im hellenistischen Osten. In: Nikephoros 5 (1992 [1993]), 43–73.

Seleukos Nikator und sein Reich. 1. Teil: Seleukos' Leben und die Entwicklung seiner Machtposition. Leuven 1986 (Studia Hellenistica 28).