Projektleiter

Prof. Dr. Markus Mode
Prof. Dr. Jürgen Tubach

Bearbeiterin

Dr. Sylvia Winkelmann
Manfred Zimmer

Projektbereich D: Integration und Absorption, Teilprojekt D3

Transfermomente im Bereich der Waffentechnologie zwischen Steppen- und sedentären Vökern in parthischer und sasanidischer Zeit

Programm

Im Rahmen der geplanten Projekte, die der Interaktion von Nomaden und seßhafter Bevölkerung im vorder- und mittelasiatischen Raum bis in frühmittelalterliche Zeit gewidmet sind, soll die Bewaffnung östlicher Heere und die daraus resultierende Taktik untersucht werden. Im Zentrum der Untersuchungen steht der Transfer rüstungstechnologischer Fertigkeiten der Steppenbewohner und deren Weiterentwicklung unter veränderten Bedingungen in den Hauptzonen der Konfrontation, nämlich dem mesopotamisch-syrischen und dem ostiranischen Raum. Schwerpunkt ist eine Analyse der Angriffs- und Schutzwaffen sowie zugehöriger Antiquaria (etwa Kleidungsteile und Pferdeausstattung) anhand archäologischer Denkmäler sein, an die im weiteren Verlauf auch die Auswertung literarischer Dokumente angeschlossen werden kann.

Der Reiterkampf als hauptsächliche Gefechtsweise der Nomaden (Saken, Sarmaten und Parther) revolutionierte durch spezifische Bewaffnung und Waffenhandhabung sowie taktische Gefechtsformen die Kriegsführung im Vorderen und Mittleren Orient. Daher zielt einer der Schwerpunkte der Untersuchung auf die militärische Ausrüstung derArsakiden und ihrer Vasallen. Die Sasaniden, die zur seßhaften Bevölkerung Persiens gehören, übernahmen die genannte Kampfesweise und entwickelten sie ebenso wie die Waffentechnik weiter, vor allem unter dem Druck hunnischer und alttürkischer Nomadenstaaten auf die Reichsgrenzen.

Von den geplanten Projekten des SFB befaßt sich keines explizit mit der militärischen Seite der Interaktion zwischen der seßhaften und der nichtseßhaften Bevölkerung. Aus welthistorischer Perspektive betrachtet ist jedoch Interaktion zwischen Steppenkulturen in Eurasien - also den Nomadenvölkern - und den seßhaften Kulturen jener Räume, die in bäuerlicher Gesittung verharrten oder über urbanistische Entwicklungen zu sogenannten "Hochkulturen" und Territorialstaaten mutierten, immer maßgeblich determiniert gewesen vom gewaltsamen Aufeinanderstoßen. Dafür zeugen genügend Beispiele von den Skythenzügen nach Altvorderasien hinein bis zum verheerenden Mongolensturm. Vielfach ging die initiale Annäherung von den Steppen aus, aber natürlich entfaltete sich der Druck häufig genug auch in entgegengesetzter Richtung. Eine besondere geopolitische Rolle kam bei diesen historischen Prozessen innerhalb Vorderasiens den Staatsbildungen auf dem Gebiet des heutigen Iran zu. Sie erklärt sich durch den Charakter jenes Raumes als notwendigem Durchzugs- bzw. Aufmarschgebiet für Vorstöße aus den eurasischen Steppen hin zum vorderasiatischen Kerngebiet in Mesopotamien und über Syrien und Anatolien hin zum Mittelmeer bzw. zum Bosporus. Zweitens spielten die politischen und ökonomischen Verhältnisse in jenem Raum bis hin zum Zeitalter der großen Entdeckungen eine maßgebliche steuernde Rolle im komplizierten Geflecht der transasiatischen Wirtschaftswege, die gemeinhin unter dem Schlagwort der "Seidenstraßen" bekannt sind.

Die erwähnten großen Umbrüche haben immer wieder zu der Frage geführt, wie es möglich war, daß relativ festgefügte, gut organisierte und ressourcenreiche Staatsgebilde in nur ganz kurzer Zeit dem Einbruch nomadischer Verbände erliegen konnten. Beweglichkeit und Ungebundenheit auf der einen sowie Schwerfälligkeit und starres Gefüge auf der anderen Seite können nicht die einzigen Gründe gewesen sein. Häufig ist deshalb auf die militärische Überlegenheit der Angreifer aus den Steppen hingewiesen worden.

Bezüglich der eben angerissenen Problematik gehören die Perioden der Partherzeit und des sasanidischen iranischen Reiches (3. Jh. v. Chr. - 7. Jh. n. Chr.) sicherlich zu den historisch und archäologisch interessantesten, bedingt durch folgende Prozesse:

-die Genesis des parthischen Großreiches in der Auseinandersetzung mit den Seleukiden, den Graeko-Baktrern und den Steppensaken;

-der Einbruch sakischer und tocharischer Verbände in Mittelasien und Iran; der Fall des Graeko-Baktrischen Reiches, die Entstehung sakischer Lokalstaaten und die Etablierung des Kushanreiches;

-die parthisch-römische Konfrontation in Syrien, Mesopotamien und Armenien;

-die sasanidische Ostexpansion mit der Teilunterwerfung des Kushanreiches;

-die sasanidisch römischen Kriege im 3. und 4. Jh. n. Chr.;

-der Einbruch der asiatischen Hunnen in Mittelasien, Südasien und Iran; die Konfrontation und Kooperation hunnischer Verbände mit dem Sasanidenreich;

-die sasanidisch-byzantinischen Kriege im 6. und 7. Jh. n. Chr.;

-die Etablierung des kök-türkischen Reiches, seine Koexistenz und Kriege mit den Sasaniden und Byzanz.

-Für komparative Fragen wichtig sind ferner die gleichzeitigen historischen Ereignisse außerhalb des vorder- und mittelasiatischen Raumes, wie der Hunnenvorstoß nach Mitteleuropa, die Konflikte zwischen Byzanz, den Awaren und den Bulgaren sowie die hunnischen und alttürkischen Konfrontationen mit China.

Folgende generelle Fragestellungen für das Teilprojekt ergeben sich aus den vorgestellten Abläufen:

-Welche militärisch-technologischen Entwicklungen bestimmten die Auseinandersetzungen in dem geschilderten historischen Rahmen?

-Welche Auswirkungen hatten Innovationen in der Waffentechnologie auf die historischen Prozesse?

-Welche taktischen und strategischen Konzepte kennzeichneten die militärischen und politischen Ereignisse?

-Welche Elemente der technischen und der taktisch-stategischen Konzepte einzelner Kriegsparteien wurden von der jeweilig anderen Kriegsseite adaptiert und fortentwickelt oder aber abgewiesen, und welche militärischen und historischen Konsequenzen folgten daraus?

Stand der Forschung

Die Zahl der Veröffentlichungen, die sich explizit mit den Angriffs- und Schutzwaffen (z.B. Komposit-Reflexbogen; Reiterschwerter und deren variiernde Tragweisen; Lamellen-, Ringel-, Schuppenpanzer) aus dem vorderen Orient in der fraglichen Zeit befassen, ist nicht übermäßig groß, obgleich eine ganze Reihe aussagekräftiger Denkmäler vorliegt (Reliefs/Statuen aus Palmyra, Hatra, Persien), die sich noch durch Belege aus Syrien, Ägypten und Kleinasien erweitern ließe (Gottheiten in Rüstungen, Darstellungen von Soldaten etc.). Außerodentlich wichtig ist die Monographie über das iranische Reiterkampfbild von H. v. Gall. Zu nennen wären auch Arbeiten von O. Gamber, A. D. H. Bivar und G. Herrmann zu verschiedenen Aspekten der Kavallerie-Forschung. Mehrere Untersuchungen von B. Overlaet konzentrieren sich auf die spätsasanidische Zeit.

Historische oder archäologische Abhandlungen, die sich mit dem Ablauf einzelner Ereignisse oder der Grenzsicherung (Limes, Kastelle, Stadtmauern) befassen, gibt es allerdings in erheblicher Menge.

Etwas anders sieht die Situation im Bereich der Steppen-Archäologie aus. Sowohl für die Periode des Altertums als auch des frühen Mittelalters gibt es hier einerseits umfangreiche Original-Materialien aus Grabungen als auch zusammenfassende chronologisch-typologische und historisch wertende Studien (B. A. Litvinskij, S. I. Vajnštejn, A. K. Ambroz). Um den militärischen Aspekt der Steppenarchäologie haben sich eine ganze Reihe von russischen Forschern verdient gemacht. Zu nennen wäre hier u. a. M. V. Gorelik, dessen Spezialgebiet die Schutzwaffen sind, der allerdings auch eine große Monographie zur altorientalischen Waffenkunde (bis zu den Achämeniden) vorgelegt hat. Die sarmatische Periode wird besonders in den schon klassischen Arbeiten von A. M. Chazanov beleuchtet.

Wichtige Arbeiten im Bereich der frühmittelalterlichen Militaria hat Ju. S. Chudjakov vorgelegt. Ein grundsätzlicher Mangel liegt darin, daß die westliche Forschung bislang nur ungenügend auf das reiche Reservoir russischer Quellen und Studien zurückgegriffen hat, wenngleich sich hierbei seit den 90er Jahren des 20. Jh. eine Wende abzeichnet. Ausgenommen hiervon sind die ungarischen Forschungen (u.a. Cs. Bálint, I. Bóna), die stets ausgezeichnet mit dem russischen Forschungspotential vertraut sind. Methodisch hervorheben muß man die jüngsten Untersuchungen von A. Koch, weil sie den Blick ausführlicher vom Fernen Osten her auf das Material lenken. Sie folgen damit Ansätzen, die bisher vor allem von W. Trousdale und J. Werner verfolgt wurden.

Wenig ausgeprägt ist generell die Tendenz, die umfangreichen archäologischen Materialien aus dem Steppenraum wirklich systematisch an das vorderasiatische Bildmaterial heranzutragen.

Bislang wurde von niemandem eine Überschau mit archäologischer und historischer Synthese vorgelegt. Ob im Rahmen eines Teilprojektes eine derartige Gesamtdarstellung geliefert werden kann, ist auf Grund des zeitlich und räumlich außerordentlich diversen Materials schwierig zu beurteilen. Allerdings wird eine schrittweise Annäherung an die Erfüllung einer derartigen Aufgabe durchaus zu leisten sein.

Arbeitsprogramm (Ziele, Methoden, Zeitplan)

Auskunft über waffentechnologische Spezifika und den Transfer von Waffensystemen geben uns im vorderasiatisch-arsakidischen und -sasanidischen Raum in erster Linie sekundäre archäologische Materialien, d. h. Bildquellen, die von Plastiken, Reliefs , Malereien u. a. Kunstwerken herrühren (u. a. aus Palmyra, Dura Europos, Hatra, von Felsbildern und toreutischen Zeugnissen). Das primäre Material fehlt dagegen weitgehend, weil man nur sehr wenig Grabstätten kennt, die aus ihren Beigaben das notwendige Waffeninventar liefern müßten. Aus diesem Grunde ist es methodisch zwingend notwendig, den Blick auf die gleichzeitigen Steppenkulturen zu lenken, die ihrerseits nun ganz ausgesprochen durch funeräre Komplexe erschließbar sind. Die wichtigsten archäologischen Zonen sind hierbei diejenigen der frühen, mittleren und späten sarmatischen Kultur, lokalisierbar v. a. im Mittel- und Unterlaufgebiet der Wolga sowie im nordpontischen Raum (Russische Föderation, Ukraine und West-Kazachstan. Darüber existiert ein großer Fundus von Quelleneditionen, zuförderst aus russischer Feder. Weitere wichtige Grabkomplexe liegen im Kaukasus, in Afghanistan, aber auch in der östlichen Zone Zentralasiens (Kultur der Xiongnu). Für den Zeitraum, der sich mit der spätsasanidischen Zeit überschneidet, haben mehrere archäologische Kulturen besondere Bedeutung. Genannt werden sollen hier nur zwei: Da ist zum einen der Bestand an alttürkischen Bestattungen, gestreut über einen Raum vom westlichen Mittelasien über den Altai und Tuva bis hin zur äußeren Mongolei. Zum anderen muß das große und (vor allem von ungarischen und österreichischen Archäologen) ausgezeichnet bearbeitete Material aus funerären Komplexen der europäischen Awaren berücksichtigt werden.

Alle die genannten Komplexe liefern ein vielfältiges Material an Schuß-, Hieb- und Stichwaffen, an Rüstungsteilen für Mensch und Tier (Kataphraktenreiterei) sowie zugehörigen Accessoires (Gürtel und -beschläge, Geschirre etc.).

Dieser Bestand eignet sich dazu, gegen das Bildmaterial gestellt zu werden und zu fundierten Aussagen über waffentechnologische Transfererscheinungen und ihre Auswirkungen zu kommen. Darin besteht das archäologisch-antiquarische Hauptziel des Teilprojektes.