Colloquium:
Law and Religion. Transitions and Effects in Nomad-Sedentary Relations

03.-04.05.2007

 

 

Venue and Date:
May 3rd, 2007, Halle, Franckesche Stiftungen, Haus 30, Hörsaal
May 4th, 2007, Halle, Universitätstplatz, Löwengebäude, HS XXII

 

Social institutions, as law and religion, are closely connected with the self-reliance and identity of their respected society The workshop does not concentrate on closed systems of law and religion but deals with the transition of juridical and religious phenomena under mutual contact of nomadic and sedentary people. Even in the case of the overwhelming impact of any state-law or any mission of one of the main influential religions, i.e. even in the case of sedentary dominance, the workshop argues with the nomadic perspective.

 

The given coexistence of different legal systems and their mutual influence have to be argued within the theory of legal pluralism. Nevertheless, the nomadic point of view concerning legal traditions, legal concepts and practice are of main concern, i.e. the establishing of juridical institutions in a nomadic society.

The main research of the interrelation of nomadic and sedentary civilisations has been based on economic and on political dispositions. The religious dimension has been neglected and has to be reconsidered now, especially the religious encroachments on distinct and local forms of piety by the missionary approach of sedentary ideologies. The missionary activity itself equals a powerful variety of mental mobility.

 

Programme

May 3rd, 2007
Halle, Franckesche Stiftungen, Haus 30, Hörsaal

6:00 p.m.

public lecture

Antonio PALMISANO
, Triest:
Regionales Recht und eine neue Verfassung für Afghanistan
(20. und 21. Jahrhundert)

 

04. Mai 2007
Halle, Universitätstplatz, Löwengebäude, HS XXII

9:00 a.m.

Reception and introduction

9:15 a.m.

Cinzia PAPPI, Udine:
Der Kult des reisenden Gottes Dagan in Mari, Mesopotamien
(2. Jahrtausend v. Chr.)

10:00 - 10:30 a.m.

Coffee break

10:30 a.m.

Matthias HARDT, Leipzig:
Die Missionierung von Awaren, Ungarn und Bulgaren

11:15 a.m.

Johannes GIESSAUF, Graz:
Satansboten und Götzendiener - die Mongolen und ihre Religion in der Wahrnehmung ihrer christlichen Zeitgenossen

12:00 - 2:00 p.m.

Lunch

2:15 p.m.

Ahmed ABDELSALAM, Halle:
Ist Islamisches Recht eine urbanisierte Form alten beduinischen Rechts?

3:00 p.m.

Katharina LANGE, Berlin:
"Wir hatten früher schrecklichen Unglauben hier!"
Trauerriten der Welde (Nordsyrien) im Wandel

3:45 - 4:15 p.m.

Coffee break

4:15 p.m.

Bertram TURNER, Halle:
Zwischen Komplementarität und Konfrontation: Religiöse und juridische Interdependenzen zwischen Nomaden und Bauern in Marokko

5:00 p.m.

Adam JONES, Leipzig:
Maasai und Mission (19. und 20. Jahrhundert

 


Abstracts

Ist Islamisches Recht eine urbanisierte Form alten beduinischen Rechts?

Ahmed Abdelsalam
Halle

Talio, Blutgeld und Kollektive Haftung der Gemeinschaft sind drei charakteristische Rechtspraktiken, die die vorislamischen altarabischen, die islamischen und die gegenwärtigen beduinischen Rechtssysteme kennzeichnen. Jedoch fand ich bei der Untersuchung der Verhältnisse zwischen beduinischem und islamischem Recht, dass die zu diesen drei Rechtspraktiken gehörenden Normen und Rechtsgründe in den jeweiligen genannten drei Rechtssystemen auf strukturelle und funktionale Unterschiede hinweisen. So bezweckt zum Beispiel talio im Islam die Buße für eine Sünde, während die gleiche Praxis für die Altaraber den Ausgleich bedeutete und daher fanden sich bei ihnen verschiedene Äquivalente für die Blutgeldsummen einer ermordeten Person abhängig von ihrem sozialen Status. Auch die strukturelle Bildung der so genannten 'aqila (Kollektive Haftungsgruppe) weist schon zu Lebzeiten des Propheten auf eine soziale Wende in der altarabischen Gesellschaft hin, die nicht mit den Stammesstrukturen zu vereinbaren war, sondern zu den Strukturen einer urbanen Gesellschaft, Medina: "die Stadt" passte. In diesem kurzen Beitrag werde ich versuchen den Prozess dieser Wende am Beispiel des 'aqila-Systems darzustellen.


Satansboten und Götzendiener - die Mongolen und ihre Religion in der Wahrnehmung ihrer christlichen Zeitgenossen

Johannes Gießauf
Graz

Ausgehend von dem seit frühester Zeit bestehenden Stereotyp, dass die Primitivität der Steppennomaden sogar die Ausprägung einer einfachen Religion vereitle (etwa Ammianus Marcellinus über die Hunnen), soll der Frage nachgegangen werden, wie Berichterstatter aus sesshaften Kulturen der Religion bzw. religiösen Ausdrucksformen steppennomadischer Gruppen begegneten. Besonderes Augenmerk wird dabei auf das 13. und 14. Jahrhundert und die Begegnung Lateineuropas mit den Mongolen gelegt werden. Schon die Deutung des Stammesnamen Tatar zu Tartari als eschatologische Vorboten und Satelliten des Antichrist (Papst Innozenz IV) bedarf dabei einer ersten näheren Untersuchung. Das nach und nach realistischer werdende Mongolen-/Tartarenbild Europas zeitigte auch erste Erkenntnisse über die Religion eines unbekannten und beargwöhnten Gegners, die näher zu hinterfragen sind. Authentische Beobachtungen früher Asienreisender (Johannes von Piano del Carpine, Simon de St. Quentin, Wilhelm von Rubruk), ihre Interpretationen von Beobachtungen vor dem Hintergrund zeitgenössischer vom Bildungskanon vorgegebener Deutungsfolien bis hin zu aufkeimenden Missionshoffnungen sollen in diesem Kontext beleuchtet werden. Dabei soll auch die Frage nach möglichen politischen Instrumentalisierungen neu gewonnener Erkenntnisse über die Religion des/r Anderen nicht unberücksichtigt bleiben.


Die Missionierung von Awaren, Ungarn und Bulgaren

Matthias Hardt
Leipzig

Die Bemühungen um die Integration reiternomadischer Gruppen in die christliche Welt waren im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa von unterschiedlicher Intensität und teilweise von der Konkurrenz zwischen Rom und Byzanz beeinflußt. Bei der Zerschlagung der awarischen Herrschaft in der pannonischen Tiefebene durch den fränkischen König Karl den Großen stand noch der Aspekt der Gewinnung der dort von den awarischen Khaganen angehäuften Goldvorräte im Vordergrund, eine Christianisierung erfolgte lediglich durch die Konversion der verbliebenen nomadischen Oberschicht. Bulgarische gentile Führungskreise suchten dagegen den Kontakt sowohl nach Rom und in das Frankenreich ebenso wie nach Byzanz, um die Christianisierung zur besseren Eingliederung in das slawisch geprägte Umfeld Südosteuropas zu nutzen. Die magyarische Integration in die römisch-katholische Welt wiederum stand in erster Linie unter dem Aspekt der Befriedung bis dahin als bedrohlich empfundener Plünderer, die hauptsächlich aus dem ostfränkisch-bayrischen Gebiet durch Mission der ungarischen Fürsten, monastische Durchdringung des Landes und den Aufbau einer Kirchenorganisation angegangen wurde. Im Vortrag werden die voneinander differenzierenden Grundlagen und Konzepte der Christianisierung reiternomadischer Gruppen in Ostmitteleuropa zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert thematisiert.


Maasai und Mission (19. und 20. Jahrhundert)

Adam Jones
Leipzig

"Jeder kennt die Maasai", schrieb Tom Spear vor zehn Jahren. In der Tat gehören die Maasai zu den bekanntesten Nomaden des subsaharischen Afrika. Nicht nur die Touristen haben klare Vorstellungen davon, was es bedeutet, Maasai zu sein. Besonders fasziniert sind viele Europäer von der prekären Existenz dieser Ethnie: Seit hundert Jahren erscheinen Bücher mit Titeln wie "Die Letzten der Maasai", aber die Maasai sind sowohl in Tansania als auch in Kenia sehr präsent.

Wie Spear und andere jedoch gezeigt haben, ist die ethnische Identität der Maasai keineswegs so eindeutig oder so historisch konstant, wie sich viele vorstellen. Man kann - und konnte auch früher - unter Umständen "Maasai werden" oder aufhören, Maasai zu sein. Solche Veränderungen hängen natürlich in erster Linie mit wirtschaftlichen Prozessen zusammen, aber ideologische Faktoren sind fast genau so wichtig.

Die Leipziger Mission (heute "Evangelisch-Lutherisches Missionswerk Leipzig e.V.") übernahm am Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Entstehung der Kolonie Deutsch-Ostafrika ein Gebiet südlich des Kilimanjaro, das von der anglikanischen Church Missionary Society aufgegeben worden war. Die Missionstätigkeit beschränkte sich zunächst auf die Chagga und andere sesshafte, meist bantusprachige Ethnien. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war jeder zehnte Chagga getauft worden, und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs waren es schon 50 Prozent. Erst bei der Rückkehr deutscher Missionare im Jahre 1926 wagte man, eine so genannte Steppenmission bei den Maasai zu gründen, und die Erfolge blieben zunächst sehr bescheiden. Ähnliches geschah bei anderen Missionen, etwa der Katholiken.

Es lohnt sich zu fragen, welche Unterschiede zwischen sesshaften Chagga und (halb-) nomadischen Maasai den unterschiedlichen Erfolg christlicher Missionen erklären könnten. Insbesondere müsste bei einer derartigen historischen Untersuchung Gender eine wichtige Rolle spielen, denn viele Maasai-Frauen haben wesentlich positiver auf die Missionierung reagiert als ihre Männer. Zugleich müsste man die Wahrnehmung der Maasai durch Europäer, und vor allem durch Missionare und Missionarinnen, analysieren.


"Wir hatten früher schrecklichen Unglauben hier!" Trauerriten der Welde (Nordsyrien) im Wandel

Katharina Lange
Berlin

Dieser Vortrag behandelt Bestattungs- und Trauerpraktiken in zwei Dörfern der Welde, einer tribalen Gruppe im syrischen Euphrattal. Sie werden der Gruppe der Schawaya, einer Kategorie zwischen "Beduinen" und "Sesshaften", zugerechnet. Im Laufe der letzten zwei Generationen hat sich das Leben der Welde grundlegend verändert; bis vor etwa vierzig Jahren war der Alltag stark durch saisonal mobile Kleinviehzucht und Landwirtschaft bestimmt, während die meisten Familien neben der Landwirtschaft heute von saisonaler Lohnarbeit in den Städten leben. Parallel zu diesen Transformationen verändern sich auch die Bestattungs- und Trauerriten der Welde. Bereits Max von Oppenheim hatte beobachtet, dass die Trauerriten der Schawaya, insbesondere die expressiven Trauerbekundungen von Mädchen und Frauen, Eigenheiten aufweisen, die bei den anderen Gruppen nicht zu finden sind. Im Laufe der letzten Jahre sind diese Besonderheiten jedoch mehr und mehr zurückgedrängt worden. Dieser Wandel wird von den Welde zum Teil mit den Veränderungen in ihrer Wirtschafts- und Lebensweise erklärt, teilweise aber auch als Hinwendung zu religiöser Orthodoxie und Ablegen alten "Unglaubens" dargestellt.


Regionales Recht und eine neue Verfassung für Afghanistan (20. und 21. Jahrhundert)

Antonio Palmisano
Triest

Die Rekonstruktion des afghanischen Rechtssystems ist deswegen ein besonders komplexer Prozeß, weil zahlreiche Rechtssysteme, die nicht immer miteinander vereinbar sind, nebeneinander existieren und deren Strukturen zudem nur schwach ausgebildet und unzulänglich sind. Außerdem vertreten oftmals an diesem Vorhaben Beteiligte unterschiedliche Ansätze, die sich zum Teil sogar widersprechen. Internationale und lokale Akteure verfügen über voneinander abweichende Vorstellugen von ‚Recht' und nehmen daher hinsichtlich der Konstituierung eines Rechtssystems, das zugleich modern, effizient und nicht zuletzt gerecht sein soll, natürlich auch verschiedene Standpunkte ein. Schließlich folgen lokale Rechtsvorstellungen ethnischen Gesichtspunkten, die nicht immer miteinander zu harmonisieren sind und darüber hinaus auch im Dialog mit dem Zentralstaat Brechungen verursachen.

Das Verhältnis zwischen formaler Gerichtsbarkeit, deren Akzeptanz auf lokaler Ebene nach wie vor schwach ausgebildet ist, und nicht-offizieller Gerichtsbarkeit, die weit verbreitet und tief verwurzelt in Afghanistan beharrlich Anwendung findet, ist entscheidend für das Rechtsverständnis in diesem Land. Das Verhältnis zwischen Staat und ethnischen Gruppen, i.e. clans und lineages, bildet das Scharnier für das Entstehen einer politischen und sozialen Dynamik im gegenwärtigen Afghanistan. Dies muß berücksichtigt werden, wenn das Land in einen konstruktiven Dialog über dieses und andere Themen eintreten soll. Die afghanische Verfassung von 2004 scheint einen solchen Dialog zu ermöglichen. Bei genauerer Analyse jedoch erscheint die Verfassung als ein Beispiel juristischer Globalisierung, gleichsam der internationale Export - nach den herrschenden Verhältnissen ein erzwungener Import - eines standardisierten Regierungsmodells, dessen historische Ursprünge auf die Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts in Europa und den USA zurückgehen.

Daß spezifische Gesetze allerdings jirga, shura und maraca chian ermöglichen, eine aktive Rolle beispielsweise in der Strafrechtssprechung zu spielen ist ein bemerkenswerter Fortschritt, der die Dialogbereitschaft zwischen Staat, Regionen und ethnischen Gruppen untereinander voranbringen kann.


Der Kult des reisenden Gottes Dagan in Mari, Mesopotamien
(2. Jahrtausend v. Chr.)

Cinzia Pappi
Udine

Götterreisen sind ein zentrales Thema der mesopotamischen Literatur. Gottheiten besuchen Heiligtümer außerhalb ihrer Kultorte.
Die Staatsarchive von Mari (heutige Tell Hariri in Syrien) beweisen, dass der Getreidegott Dagan mit dem Euphrat Tal assoziiert ist. Verschiedene Heiligtümer, wie Terqa/Tell Ashara und Tuttul/Tell Bi'a, die dem Fluss folgen, werden dem Gott Dagan geweiht.
Die Mari Briefe und die administrativen Texte belegen den Kult des reisenden Dagan. Sie zeigen auf, dass die Statue des Gottes in einer Prozession durch verschiedene Kultorte getragen wurde. Beide Gemeinden der Gesellschaft von Mari, sowohl die nomadische als auch die seßhafte, nehmen an dieser religiösen Praxis teil und pflegen somit ebenso den Kult von Dagan wie durch den regelmäßigen Besuch seiner Heiligtümer.


Zwischen Komplementarität und Konfrontation: Religiöse und juridische Interdependenzen zwischen Nomaden und Bauern in Marokko

Bertram Turner
Halle

Die Soussebene im Südwesten Marokkos hat eine weit zurückreichende Geschichte als Interaktionsraum zwischen einer ansässigen, Landwirtschaft treibenden Landbevölkerung und mobilen Viehzüchterverbänden, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Die Arganwälder im Souss, die ein weltweit einmaliges Ökosystem bilden, stellen für beide Parteien, Bauern und Nomaden, eine unverzichtbare Lebensgrundlage dar. Das gilt sowohl für die ganz verschiedenen Gruppen von mobilen Hirten im Souss, die rahhalin, die aus verschiedenen Herkunftsgebieten stammen und verschiedene Varianten von Nomadismus praktizieren, als auch für die Bauern, die fellahin, deren Aktivitäten von konventionellen Anbauformen der Bewässerungslandwirtschaft und des Regenfeldbaus bis zu hypermoderner Agrarproduktion reichen. Die historisch gewachsenen sozialen Beziehungen zwischen Bauern und saisonal aktiven Nomaden sind seit einigen Jahrzehnten allerdings einem grundlegenden Wandel unterworfen. Dieser Transformationsprozess wird für eine Zunahme von gewalttätigen Konflikten zwischen beiden Parteien verantwortlich gemacht. Mit Blick auf vergleichbare Konstellationen könnte diese Transformation als Übergang von einem traditionellen Verhältnis komplementärer und kooperativer Formen der gemeinsamen Ressourcennutzung sowie der rechtlichen und religiösen Beziehungen zu einem konfrontativen beschrieben werden, das zunehmende Konkurrenz um den Zugang zu stetig knapper werdenden natürlichen Ressourcen widerspiegelt. Es wird im Folgenden jedoch gezeigt, dass dieses Modell für den konkreten Fall keine Erklärung bietet und einer grundsätzlichen Kritik unterzogen werden muss. Stattdessen lässt sich erkennen, dass die Transformationsprozesse den manifesten Einflüssen von Globalisierung und neoliberaler Ökonomie geschuldet sind. Komplementäre und konfrontative Aspekte der Beziehungen zwischen Nomaden und Bauern fanden und finden ihren jeweiligen Ausdruck in den verknüpften Arenen des Juridischen und Religiösen. Diese Arenen geraten zunehmend unter den Einfluss transnationaler Akteure. Neue Aushandlungen und neue Vermessungen der Handlungsspielräume sind die Folge. Im Zentrum der Analyse steht die Umgestaltung der traditionellen Beziehungen und religiösen und juridischen Interdependenzen zwischen Nomaden und sesshaften Bauern im Rahmen pluraler Rechtsverhältnisse und im Zuge von Globalisierungsprozessen.