Projektbereich E: Reflexionen und Konzepte, Teilprojekt E6

Wechselwirkung zwischen Sprache und gesellschaftlichen Normen –
Eine soziolinguistische Untersuchung im Spannungsfeld von Nomadismus und Sesshaftigkeit bei der kasachisch sprechenden Bevölkerung Kasachstans und der Mongolei

Programm

Mittels einer soziolinguistischen Untersuchung in Zentralasien innerhalb der kasachischen Sprachgemeinschaft, deren Mitglieder hauptsächlich in Kasachstan, in der Mongolei und im Nordwesten Chinas konzentriert sind, soll erforscht werden, welchen sozialen Stellenwert der Nomadismus (in Kasachstan weitgehend ausgestorben, in der Mongolei hingegen nach wie vor real existierend) im Kontrast zu ländlichen bzw. städtischen Existenzformen besitzt, und wie sich der gesellschaftliche Umgang mit dieser Thematik äußert. Im Fokus befinden sich die Dominanzverhältnisse zwischen Sprachen oder Varietäten in Bezug auf ihr soziales Umfeld.

Wie alle Sprachen, weist das Kasachische Varianten oder Subsysteme auf, die aufgrund dialektaler, soziolektaler und stilistischer Unterschiede entstehen. In konkreten Fällen können zwei oder alle drei dieser Unterschiede zusammenfallen. Auf der Subsystemebene kann man imaginäre Gemeinschaften schaffen, d. h. die Sprachvariante kann zum wichtigen Symbol der Zusammengehörigkeit innerhalb der Trägergruppe und der Abgrenzung von anderen Gruppen werden. Diese Abgrenzung wird mit Bewertungen, Stereotypisierungen und Selbstdarstellungen verbunden. Sprachliche Strategien werden bewusst oder unbewusst eingesetzt, um Differenz bzw. Solidarität zu markieren, gleichzeitig aber können diese Strategien auch selbst dazu beitragen, Differenz zu erschaffen oder Integration zu erleichtern. Diese Differenzierungen kommen im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen realem und ideologisiertem Nomadismus besonders zum Tragen. Das Vorhaben fragt danach, wie Mitglieder einer vermeintlichen Sprachgemeinschaft unter unterschiedlichen politischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen mit Abgrenzung, Differenzierung und Wertekonflikten in der Wahrnehmung durch andere und in der Selbstdarstellung umgehen. Welche Rolle spielt in diesen Prozessen ihre (aktuelle oder ehemalige) Lebensweise und die damit verbundene Stigmatisierung /positive Bewertung/Verdrängung/ Standardisierung? Wie weit fallen Bewertungen des Sprachverhaltens mit sozialen Bewertungen zusammen? Inwiefern werden die sozialen Abgrenzungen sprachlich abgesichert? Diese Fragestellungen werden auf die Situation der Kasachischsprecher in Kasachstan und in der Mongolei angewandt.

Publikationen

Dr. Ildikó Bellér-Hann

The Written and the Spoken. Literacy and Oral Transmission among the Uyghur. Berlin/Halle 2000 (ANOR 8).

The Peasant Condition in Xinjiang. In: Journal of Peasant Studies 25 (1) (1997), 87–112.

Narratives and Values. Source Materials for the Study of Popular Culture in Xinjiang. In: Inner Asia. Occasional Papers 1(1), Cambridge 1996, 89–100.

A History of Cathay. A Translation and Linguistic Analysis of a Fifteenth century Turkic Manuscript. Bloomington 1995, (Indiana University Uralic and Altaic Series 162).

Script Changes in Xinjiang. In: S. Akiner (Hg.): Cultural Change and Continuity in Central Asia. London 1991, 71–83.