Projektleiterin

Dr. Judith Miggelbrink

Bearbeiter

Dr. Nuccio Mazzullo
Peter Koch, M.A.

Studentische Hilfskräfte

Lea Bauer, Leipzig
Anneken Brand, Berlin
Jacinthe Briand-Racine, Québec (Kanada)
Paul R. Burgess, New Orleans (USA)
Patrick Frommberg, Potsdam
Anne-Marie Lapointe, Québec (Kanada)
Fabian Reiß, Münster
Lukas Schliephake, Berlin
Johann Simowitsch, Leipzig
Anja Stadler, Köln
Hannah Wenng, Freiburg
Judith Wiemann, Köln
Catherine Willems, Ghent (Belgien)
Trevelyan S. Wing, Hanover (USA)
Andy Womelsdorf, Münster

Projektpartner

Jun. Prof. Dr. Bernd Belina, Frankfurt a.M.
Dr. Florian Stammler, Rovaniemi (Finnland)

Projektbereich E: Reflexionen und Konzepte, Teilprojekt E9

Machttechnologische Raumproduktionen: Territorialität und Indigenität der Sámi

Programm

Die Sámi sind das einzige anerkannte indigene Volk Europas. Das Gebiet, das die schätzungsweise 70.000 bis 100.000 Angehörigen dieser Gemeinschaft seit time immemorial besiedeln und nutzen, bezeichnen sie als Sápmi – das Land der Sámi. Es erstreckt sich über nördliche Landesteile der heutigen Nationalstaaten Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Aufgrund ihrer zum Teil divergierenden Interessen sind Sámi und Vertreter dieser Nationalstaaten zunehmend an verschiedenen Konflikten um Raum und Ressourcen in Nordeuropa beteiligt. Mit dem weltweiten Einsetzen des native revival vollzieht sich ab den 1970er Jahren ein Prozess des scale jumping – die Verlagerung von der nationalstaatlichen auf die internationale Ebene als politischem Verhandlungsraum. Hierbei wurden vor allem auch Sámi aktiv, universell gültige Rechtsnormen zum Schutze indigener Völker durchzusetzen. Dokumente wie das ILO Übereinkommen 169 von 1989 und die UN Erklärung der Rechte indigener Völker von 2007 ermöglichen ihnen eine völkerrechtliche Argumentation zur Legitimierung von Territorialansprüchen in Sápmi.

Ausgehend von der Foucault’schen Annahme, dass dem Raum für jegliche Machtausübung eine fundamentale Bedeutung zukäme, dient sein Begriffsdreieck Souveränität, Disziplin und Sicherheit als Heuristik bei der Aufbereitung aktueller Konflikte um Raum und Ressourcen, die nicht zuletzt Konflikte zwischen indigener und staatlicher Territorialität darstellen. Dies wird zunächst in einer ersten, empiriegeleiteten Phase umgesetzt, der sich eine zweite, theoriebildende Phase anschließt.

In der ersten Phase werden konkrete in Nordeuropa aktuelle Konflikte aufgegriffen und zum Gegenstand von vier Fallstudien gemacht. Untersucht wird, welche Rolle die Selbst-, Fremd- und rechtlichen Definitionen der Sámi als indigenes Volk mit einer auf spezifische soziale Organisationsformen und ökonomische Praktiken beruhenden Territorialität spielen. Hierbei erscheint für das sámische Selbstverständnis die überragende Bedeutung der Rentierwirtschaftsweise offensichtlich, die einen großen Platz in der Beziehung zwischen Sámi und den Nationalstaaten einnimmt. Die Fallstudien sind:

Holzwirtschaft in Finnland
Die Wälder Finnisch-Lapplands sind reich an Flechten, die eine wichtige Grundnahrung für Rentiere darstellen, aber auch an wertvollem Holz, aus dem veredelte Produkte wie Feinpapier erzeugt wird. Durch den massiven Eingriff der Holwirtschaft in das empfindliche Ökosystem gehen Flechten über Jahrzehnte verloren – einige Flächen werden sich von der Abholzung nie erholen. Der staatlichen Holzindustrie werden jedoch rechtliche Grenzen gesetzt. So darf die Rentierwirtschaft nicht signifikant gefährdet sein. Ein Definitionsproblem.

Nationalparks in Norwegen
Mit dem Ziel Natur für zukünftige Generationen zu bewahren, verfolgt der norwegische Staat die Einrichtung mehrerer Nationalparks. Davon sind Gebiete betroffen, die von der Mehrheitsgesellschaft zwar als peripher betrachtet werden, in denen jedoch meist sámisches Weideland liegt. Die Implementierung von Schutzstufen erschwert den für die Rentierwirtschaft notwendig gewordenen Gebrauch moderner Technologien wie Hubschrauber und Motorbikes, wodurch ihre weitere Existenz gefährdet ist.

Schwedisch-Norwegische Grenze
Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wird die Grenze zwischen Schweden und Norwegen durch einen Grenzvertrag verregelt. Bestandteil dieses Vertrages ist das Lappekodisillen, das die Weidelandnutzung der Sámi unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft garantiert. Nach der Unionsauflösung 1905 wird dieses Recht durch konkretisierende Grenzkonventionen zunehmend beschnitten. Mit dem Auslaufen der letzten Konvention 2003 kommt es hierüber zum Streit zwischen den beiden Staaten, aber auch innerhalb der Gemeinschaft der Sámi.

EU Interreg IIIA Nord
In einem von drei Teilprogrammen unter der Bezeichnung Sápmi wird eine sámische Perspektive aufgespannt. Es wird eine Verräumlichung Sápmis als territoriale Einheit verfolgt, die eine die nationalstaatlichen Grenzen überschreitende Zusammenarbeit aller Sámi ermöglicht. Ziel ist die Stärkung und Weiterentwicklung der sámischen Identität, Kultur, Sprache und Wirtschaftsweise.

Aufbauend auf der Analyse dieser konkreten Raumproduktionen wird in der theoriebildenden Phase das Foucault’sche Begriffsdreieck zu einem machttechnologischen Modell von Räumlichkeit weiterentwickelt. Es setzt sich mit der Funktionsweise von Raumproduktionen als machttechnologisches Medium in Konflikten auseinander und hilft, Konflikte zwischen indigener und staatlicher Territorialität zu verstehen. Darüber hinaus kann es gegebenenfalls zur Lösung von derartigen Konflikten beitragen.

Publikationen

Dr. Judith Miggelbrink

Belina, B. and Miggelbrink, J. 2012. Raum, Recht und Indigenität – zu den Kämpfen um Landrechte indigener Völker am Beispiel der Sámi in Finnland. Peripherie, 126/127. (im Druck)

Miggelbrink, J. 2011. Territorium, in Kleines abc des Nomadismus, edited by A. Nippa. Museum für Völkerkunde Hamburg: Hamburg, 212.

Miggelbrink, J. 2011. Raum, in Kleines abc des Nomadismus, edited by A. Nippa. Museum für Völkerkunde Hamburg: Hamburg, 164-165.

Miggelbrink, J., Paul, J., Syrbe, D. and Scharrer, U. 2011. Grenze, in Kleines abc des Nomadismus, edited by A. Nippa. Museum für Völkerkunde Hamburg: Hamburg, 82.

Koch, P. and Miggelbrink, J. 2011. Being in the frontline of a Sámi culture and a private business: Cross-border reindeer herding in northern Norway and Sweden. Nomadic Peoples, 15(1), 114-143.

Miggelbrink, J. and Mazzullo, N.E. 2011. Winterweide und Holzlieferant: Interessenkonflikte bei der Waldnutzung in Nordfinnland. Geographische Rundschau, 63(7/8), 36-42.


Dr. Nuccio Mazzullo

Mazzullo, N. forthcoming. The Nellim forest conflict in Finnish Lapland: between state forest ‘mapping' and local forest ‘living’, in Nomadic and Indigenous Spaces: Productions and Cognitions, edited by Miggelbrink, J., Habeck, J.O., Stammler, F. and Koch, P. Ashgate: Aldershot.

Mazzullo, N. 2012. The sense of time in the north: a Sámi perspective. In: Polar Record, FirstView Article online 29.02.2012, Printversion im Juni 2012.

Mazzullo, N. 2011. Sámi, in Kleines abc des Nomadismus, edited by A. Nippa. Museum für Völkerkunde Hamburg: Hamburg, 190-191.

Istomin, K. and Mazzullo, N. 2011. Rentier, in Kleines abc des Nomadismus, edited by A. Nippa. Museum für Völkerkunde Hamburg: Hamburg, 182.

Mazzullo, N. 2011. Lappland oder Sápmi, in Kleines abc des Nomadismus, edited by A. Nippa. Museum für Völkerkunde Hamburg: Hamburg, 124-125.

Miggelbrink, J. and Mazzullo, N.E. 2011. Winterweide und Holzlieferant: Interessenkonflikte bei der Waldnutzung in Nordfinnland. Geographische Rundschau, 63(7/8), 36-42.

Mazzullo, N.E. 2010. More than meat on the hoof? Social significance of reindeer among Finnish Saami in a rationalized pastoralist economy, in Good to Eat, Good to Live with: Nomads and the Animals in Northern Eurasia and Africa, edited by F. Stammler and H. Takakura. Center for Northeast Asia Studies (CNEAS), Tohoku University: Sendai, 101-119.

Mazzullo, N. 2009. Sápmi: a symbolic re-appropriation of Lapland as Saamiland, in Máttut – Máddagat: The Roots of Saami Ethnicities, Societies and Spaces / Places, edited by T. Äikäs. Giellagas Institute, University of Oulu: Oulu, 174-185.

Mazzullo, N. and Ingold, T. 2008. Being Along: Place, Time and Movement among Sámi People, in Mobility and Place: Enacting European Peripheries, edited by J.O. Bærenholdt and B. Granås. Ashgate: Aldershot, 27-38.


Peter Koch, M.A.

Koch, P. forthcoming. ‘Reindeers don’t care about the border.’ Others may do, in Nomadic and Indigenous Spaces: Productions and Cognitions, edited by Miggelbrink, J., Habeck, J.O., Stammler, F. and Koch, P. Ashgate: Aldershot.

Koch, P. 2011. Mehrheit und Minderheit, in Kleines abc des Nomadismus, edited by A. Nippa. Museum für Völkerkunde Hamburg: Hamburg, 126-127.

Koch, P. 2011. Indigenität, in Kleines abc des Nomadismus, edited by A. Nippa. Museum für Völkerkunde Hamburg: Hamburg, 98.

Koch, P. and Miggelbrink, J. 2011. Being in the frontline of a Sámi culture and a private business: Cross-border reindeer herding in northern Norway and Sweden. Nomadic Peoples, 15(1), 114-143.