Arbeitsprogramm

Zusammenfassung

Am Sonderforschungsbereich 586 "Differenz und Integration" sind die Universität Leipzig und die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg beteiligt sowie das Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung (MPI) in Halle, das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig sowie das Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Leipzig und das Orient-Institut in Beirut.

In der dritten Phase des SFBs (2008-2012) nimmt das Forschungsprogramm problemzentriert - auf der Basis der gebündelten empirischen Befunde - vier zentrale Themenkomplexe in den Blick, die aus historischer Perspektive die Wechselwirkungen zwischen Nomaden und Sesshaften maßgeblich prägen:

  1. Herrschaft
    Im Mittelpunkt stehen wechselnde Zentrum- und Peripheriebeziehungen zwischen Nomaden und Sesshaften in der longue durée, die bis in aktuelle Gesellschaftsformierungen hineinwirken. Untersucht wird die gesellschaftliche Verfasstheit von Raum und Territorien; und zwar von frühen Staaten, Großreichen, modernen Nationalstaaten bis hin zu transnationalen Blockbildungen. Von erkenntnisleitender Bedeutung ist, inwieweit Verhältnisse ökonomischer Ungleichheit, asymmetrischer Machtbeziehungen und (konstruierter) kultureller Widersprüchlichkeit die Interaktionen zwischen Nomaden und Sesshaften konfigurieren, sich als strukturbildende Muster der Gesellschaftsformation niederschlagen und gegenwärtig auch neue - territorial fragmentierte - Peripherien hervorbringen.

  2. Mobilität
    Mobilität wird als Phänomen beleuchtet, welches jenseits nomadischer Weidewirtschaft immer wieder auch aus nomadischen Gesellschaften heraus in sesshafte Kontexte hineinreicht - etwa in Form von Arbeitsmigration - und das gegenwärtig von führenden Soziologen als bestimmendes Charakteristikum der späten Moderne verstanden wird. In den Blick genommen wird hier einerseits die unmittelbare Bedeutung von Mobilität in ihren Rückwirkungen auf pastorale Produktions- und Reproduktionssysteme, andererseits geht es theoriebildend um die Ankopplung an die sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung, die weitgehend unhistorisch angelegt ist und bisher ohne Bezug zur Nomadismusforschung bleibt.

  3. Repräsentation
    Beleuchtet werden die Konsequenzen, die aus den konkreten sowie fiktiven Begegnungen von Nomaden und Sesshaften und ihren diskursiven Bedeutungszuweisungen hervorgehen; also, die rekursive Kopplung von (Alltags)-Praxis und (Text)-Wissen, in die sowohl Abgrenzungs- und Differenzierungsprozesse als auch Aneignungs- und Integrationsvorgänge eingebunden sind. Analysiert werden zum einen Fremdperspektiven, wenn sich etwa Bilder über Nomaden (bzw. die Konstruktion des 'Fremden') zu Handlungen für/gegen Nomaden transformieren und in Interventionen materialisieren; zum anderen geht es um Eigenperspektiven, wenn etwa aus vorgestellten Gemeinschaften, Identitäten abgeleitet, Indigenität postuliert und damit der Zugriff auf Ressourcen legitimiert wird.

  4. Großereignisse
    (Natur)-Katastrophen und zeitgeschichtliche Erschütterungen in Form von klimatischen Schwankungen, Dürren, Epidemien, Hunger und Krieg stellen zentrale Momente der Gesellschaftsformation dar. Inwieweit fallen diese Bedrohungen und ihre Bewältigungen bei Nomaden und Sesshaften unterschiedlich aus und welche Bedeutung spielt dabei der (ungleiche) Zugang zu und die Verfügung über Ressourcen? Untersucht werden die Entstehung von Risiken, der Ablauf von Krisen, die Möglichkeiten der Abfederung und Bewältigung sowie die Auswirkungen gesellschaftlicher Strukturbrüche. Ziel ist es, durch die Kombination historischer Analysen, gegenwartsbezogener Entwicklungsforschung und naturwissenschaftlicher Verfahren an einer Modellbildung nachhaltiger menschlicher Sicherheit für (ehemalige) Nomaden unter den Bedingungen des globalen Wandels zu arbeiten.

Hierzu arbeiten in insgesamt 15 Teilprojekten 10 Fachgebiete zusammen: Altorientalistik, Alte Geschichte, Alttestamentarische Wissenschaft und Palästinaarchäologie, Geschichte und Zeitgeschichte Mittelasiens, Islamwissenschaft, Sprachen und Kulturen des Christlichen Orients, Orientalische Archäologie und Kunstgeschichte, Ethnologie (Syrien, Sudan und Sibirien), Geographie und die Ökologisch-ökonomische Modellierung von semi-ariden Ökosystemen.